Montag, 10. Dezember 2012

Was schenken wir Tante Berta?




Geben sei seliger denn nehmen behauptet jedenfalls ein altes Biebelwort, aber wenn ich dabei an Tante Berta denken kommen mir durchaus Zweifel, denn was schenkt man einer achzigjährigen alten Dame, die wirklich schon mehr als alles hat, bloß zu Weihnachten?

"Wir gehen systematisch vor", sagte meine Frau am dritten Adventssonntag gleich nach dem Frühstück, "und zwar alphabetisch. Wir beginnen mit A."
"Aftershave!" platzte ich heraus und dachte dabei mit einigem Unbehagen an Tante Bertas flauschiges Damenbärtchen.
"Sei nicht albern!" tadelte mich meine Frau, musste aber selbst ein wenig grinsen. "Also weiter mit B wie Berta."
"Büstenhalter".
"Beim Busen deiner Tante?"
"Beim Busen meiner Tante und beim Barte des Propheten!"
So kamen wir offensichtlich nicht weiter.
"Ruf doch deinen Bruder an", schlug meine Frau vor, "vielleicht hat er ja eine Idee".
Mein Bruder und Ideen?!

"Tante Berta? Weihnachten?" Die Stimme meines Bruders schien nicht aus dem Telefon, sondern aus einer anderen Welt weit draußen hinter der Milchstraße zu kommen. "Keine Ahnung. Aber geht doch systematisch vor, du und Claudia, und zwar nach dem Alphabet, also zum Beispiel A wie..."
"Aftershave! Danke, Brüderchen, aber soweit waren wir auch schon ohne dich gekommen. Grüß Martina und die Kinder.
Ciao, ciao

"Und wenn wir mal ins Internet schnuppern?" Der Ideenvorrat meiner Frau schien heute unerschöpflich zu sein.
"Welches Suchwort?"
"Hm?"
Da klingelte das Telefon. Es war meine Schwester, die lediglich wissen wollte, was sie denn Tante Berta zu Weihnachten schenken könnte.
"Tante Berta? Weihnachten?" Ich mimte den Ahnungslosen.
"Keinen Schimmer, Schwesterherz, aber geh doch einfach einmal systematisch vor und zwar nach dem Alphabet, also zum Beispiel A wie..."
"Aftershave? Danke, Bruderherz, aber soweit war ich auch schon ohne dich gekommen. Grüß Claudia von mir.
Tschüsschen, tschüsschen!"

"Und wenn du Tante Berta direkt anrufst und sie ganz einfach persönlich fragst?" Meine Frau schien allmählich ihre Tageshöchstform zu erreichen.
Also wählte ich Tantchens Nummer und nach umständlichen Erkundigungen hinsichtlich ihres Rheumas, ihrer Arthrose, ihrer Gallen- und Nierensteine und dergleichen kam ich endlich zum eigentlichen Grund meines Anrufs.
"Mir? Zu Weihnachten?" Tante Berta mimte die Überraschte.
"Keine Ahnung, Jungchen, aber geh doch ganz einfach einmal systematisch vor, und zwar nach den Alphabet, also zum Beispiel A wie..."
"Auflegen", winselte ich, "A wie auflegen, A wie aufhören, A wie auf Wiederhören!"
"Genau, Jungchen, du hast es durchschaut. Viel Erfolg noch bei der Suche und grüß Claudia von mir. Ach und noch was fällt mir da gerade ein. Als nämlich Onkel Kurtchen noch lebte, da wusste er auch nie so recht, was er mir denn schenken sollte, worauf ich ihm natürlich riet: Kurtchen, geh doch einmal systematisch vor und zwar nach dem Alphabet, also zum Beispiel A wie..."
"Adieu!" jammerte ich und ließ den Hörer auf die Gabel sinken.

"Advent, Advent!" trällerte meine Frau derweil in der Küche und ich kam endlich zu der Erkenntnis, dass sogar der Wahnsinn systematisch vorgeht, und zwar nach dem Alphabet, also zum Beispiel A wie Advent oder B wie Tante Berta...

Aus "Die Stadt in der Schachtel"  von Stefan Grimm

2 Kommentare:

  1. sehr schöne Geschichte.... so mag es wohl einigen gehen! Ich habe die ganze Zeit gedacht: Zeit man sollte den alten Leuten Zeit schenken, Zeit zum vorlesen, Zeit zum Spiele spielen, Zeit zum Zuhören. Einfach alte Geschichten aus ihrem Leben sich anhören. Manchmal finde ich es schade, daß ich früher nicht ein wenig schlauer war. Ich habe ihnen nicht genug "Zeit" gschenkt!.
    Liebe Grüße Tinki
    PS: Das mußte mein Freund auch gerade bitter feststellen, als sein Bruder von einigen Wochen starb... ja Gemeinsamkeit ist wohl ein großes Geschenk!

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  2. Danke für diese schöne Geschichte!
    Ich wünsch Dir einen wunderschönen Tag!
    ♥ Allerliebste Grüße Claudia ♥

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